Die Natur braucht Rechte

Die Natur braucht Rechte

Juristin Jula Zenetti vom deutschen Helmholtz-Zentrum für Umwelt forscht über Eigenrechte der Natur und über deren Einfügung in die europäischen Rechtsordnungen.

Wie lässt sich die Natur am besten schützen, diese Frage versucht Umweltjuristin Jula Zenetti zu beantworten. Sie forscht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Das Konzept Eigenrechte wird bereits in mehr als 20 Ländern praktiziert: Diese Eigenrechte schützen die Existenz der Natur, die Ökosysteme und garantieren Unversehrtheit oder Reproduktion. Der Münchner Umwelt-Journalist und Gründer des World Uranium Hearings, Claus Biegert, erläuterte Ethical Banking das Konzept Eigenrechte der Natur.

In den 20 Ländern können Projekte Gegenstand von Gerichtsverhandlungen werden, wenn sie zum Beispiel mit Chemikalien einen Fluss verunreinigen. Zenetti prüft diese Eigenrechte, ob sie auch für das deutsche und europäische Recht sinnvoll sind.

Das Konzept der Eigenrechte der Natur entwickelte in den 1970er Jahren der US-amerikanischer Rechtswissenschaftler Christopher Stone. Erstmals anerkannt wurde diese neue Rechtsform in den 2000er Jahren, besonders weil indigene Bevölkerungsgruppen dafür kämpften. Im Anden-Land Ecuador erzwangen die gut organisierten Ureinwohner 2008 die Verankerung der Rechtsfähigkeit der Natur in der Verfassung.

Diese Eigenrechte werden durch Personen oder Organisationen vor dem Gericht geltend gemacht. In Ecuador klagen indigene Verbände Konzerne wegen ihrer rabiaten Ausbeutung des Amazonasbeckens an, in Neuseeland vertreten ein Maori und ein Spitzenbeamter des Umwelt-Ministeriums den Fluss Wanganui – der eine Rechtsperson ist – bei der Behandlung von Staudamm-Projekten.
In Deutschland erhoben Umweltorganisationen im Namen von Nordseerobben in den 1980er Jahren bereits eine Klage gegen Industrieunternehmen. Vorwurf, chemische Abfälle vergifteten unzählige Robben. Das Gericht wies damals wegen fehlender Rechtsgrundlage die Klage ab.
Der Gesetzgeber bestimmt, wer eine Rechts-Person ist, erläutert Juristin Zenetti. Sie erinnert daran, dass nicht nur Menschen Rechte haben, sondern beispielsweise auch Vermögen in Form von Aktiengesellschaften. Sie haben Rechtspersönlichkeit, diese Rechte können also vor Gericht eingeklagt werden. Wenn Vermögen eine Rechtspersönlichkeit hat, warum nicht auch die Natur, wirbt Zenetti für Eigenrechte in der deutschen Rechtsordnung. Einflussreiche Interessensgruppen stehen dieser Entwicklung in der Rechtswissenschaft aber skeptisch bis ablehnend gegenüber. Kein Wunder. „Der Natur eigene Rechte anzuerkennen, könnte eine Chance sein, ihre Position gegenüber menschlichen Interessen und Kapital zu stärken,“ führt Zenetti aus. Damit wird auch das Umweltrecht „aufgerüstet“.
Die Zeit drängt, sagt Zenetti, „die Umweltzerstörung hat mittlerweile ein derart desaströses Ausmaß angenommen hat, dass alle, auch die Kolleg:innen der eigenen Zunft über den Tellerrand schauen und offen für eine Diskussion sein sollten, die zunehmend an Fahrt gewinnt“.
Warum sollen Eigenrechte der Natur nicht auch Platz finden in der europäischen Rechtsordnung, wenn dies bereits in Kolumbien, Indien, Neuseeland und Ecuador möglich ist, drängt Zenetti zum Handeln. Sie zitiert ein jüngstes Beispiel: In Orange County, Florida, haben mehrere Gewässer Klage gegen ein Bauvorhaben eingereicht, um eine Beschädigung oder Zerstörung der Gewässer zu verhindern.
Das kolumbianische Verfassungsgericht sprach 2016 dem drittgrößten Fluss des Landes subjektive Rechte zu. Das oberste Zivilgericht verlieh in einem Verfahren zu illegalen Waldrodungen im kolumbianischen Amazonasgebiet dem gesamten Gebiet Rechtspersönlichkeit. „Es ist juristisch also möglich, auch der Natur Rechte zu verleihen,“ ist Zenetti überzeugt. „Warum also nicht auch Ökosysteme, die den Artenschutz gewährleisten, den Klimawandel bremsen und damit auch dem Menschen letztlich die Existenz sichern?“
Nicht nur ein Vermögen ist eine Rechtsperson, auch ein Embryo im Mutterleib, ein Säugling und eine betreuungsbedürftige Person, ergänzt Zenetti ihre These. Deren Rechte können Angehörige wahrnehmen.
Die Menschen handeln seit Jahrhunderten nach dem Leitmotiv „Macht Euch die Erde untertan“. Jetzt ist die Zeit gekommen, damit aufzuhören, fordert Zenetti zum Umdenken auf. Die Natur ist kein Diener des Menschen, sie verdient Respekt und auch rechtliche Wertigkeit.
Deshalb müssen Ökosysteme wie Flüsse oder Wälder zu Rechtspersönlichkeiten erklärt werden, führt Juristin Zenetti aus. „Vorstellbar sind aber durchaus auch Rechte für einzelne Bäume. Natürlich bedarf es bestimmter Erheblichkeitsschwellen, die überschritten sein müssen, damit ein Eingriff in die Rechte eines Flusses oder eines Waldgebietes bejaht werden kann. Das müsste man gesetzlich näher definieren“, wagt die Umwelt-Juristin vom deutschen Helmholtz-Zentrum den Entwurf eines Katalogs der Natur-Rechte.