Wirtschaft neu denken

Wirtschaft neu denken

Gibt es ein Modell für die Gegenwart? Ja, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Franz-Josef Radermacher.

Der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Franz-Josef Radermacher redet Klartext und nicht um den berühmten heißen Brei herum. Radermacher bezeichnet die gegenwärtige Form des Kapitalismus als ein „Plündersystem“, das auf Kosten anderer Menschen und Länder lebt. Das westliche Wirtschaften erzeugt Kosten, die die Menschen mit Spottlöhnen im Süden der Welt tragen und die Verbraucher hier bezahlen.
Soziale und ökologische Kosten sollen nicht wie bisher üblich auf andere abgewälzt werden, empfiehlt Professor Radermacher. Radermacher betont: „Die reichen Länder sind gefordert, den ärmeren Ländern zu helfen.“ Vergleiche dafür gibt es bereits, den Länderfinanzausgleich in Deutschland oder die Cassa del Mezzogiorno in Italien.
Radermacher und sein Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) plädieren für die Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft, ergänzt mit einem zusätzlichen ökologischen Standbein. Und das weltweit, drängt Radermacher auf grundlegende Reformen. Freie Märkte, Eigentum und Eigenverantwortung bleiben die Grundstrukturen, sagt Radermacher, auch aktiv im Club of Rome. Hinzu kommen müssen aber der strikte soziale Ausgleich, der Schutz der Umwelt und der Biodiversität.

Für eine neue Marktwirtschaft

Radermacher erinnert an das Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft, erfunden vom CDU-Politiker Ludwig Erhard. Mindestlöhne, Kollektivverträge, später kamen die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben hinzu, die Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand und die soziale Verpflichtung von Vermögen und Eigentum. Das deutsche Wirtschaftswunder war die Folge. Hier knüpft Radermacher an und verweist auch auf die Diskussionen in den 1970er Jahre über die Vereinbarkeit von Umweltschutz und einer sozialen Marktwirtschaft.
Statt aber auf eine Ausdehnung staatlicher Befugnisse zu setzen, spricht sich Radermacher für das globale Wirtschaften in Kreisläufen aus. Gemeinsame Anstrengungen sind notwendig, betont der Mathematiker. Er hat ein drastisches Bild parat: „Die Menschheit segelt gerade gemeinsam auf einem Schiff, das hinten ein großes Leck hat und vorne, wo die reichen Staaten sitzen, ein kleines Loch.“ Das hintere große Loch ist das Problem, die Leute vorne kümmern sich aber nur um das kleine Loch vorne. Für Radermacher eine fahrlässige Haltung.
Seit 2018 berät das Radermacher-Institut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung das deutsche Entwicklungsministerium. Das Institut wirkt beim Aufbau der Allianz für Entwicklung und Klima mit. Ziel dieser Allianz ist es, die Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz zu verknüpfen, über den freiwilligen Ausgleich von Treibhausgasen und über die Finanzierung von Entwicklungs- und Klimaschutzprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern zu mobilisieren. 600 Partner aus Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft unterstützten dieses Ziel. Ein Beitrag zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) und zum Pariser Klimaabkommen.
„Es gibt keinen natürlichen Widerspruch zwischen Markt und Nachhaltigkeit“, sagt Professor Radermacher. Das Konzept der ökologisierten sozialen Marktwirtschaft kombiniert die Märkte mit einer sozialen Orientierung. Dazu zählen ein engmaschiges Sozialsystem, die allgemeine Schulbildung, Krankenkassen oder in der Großindustrie die Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Unternehmen. „Wir legen also großen Wert darauf, dass das Wirtschaften so passiert, dass wir dabei versuchen, die Umwelt und das Klimasystem zu schützen,“ beschreibt Radermacher sein Modell.

Für die Kostenwahrheit

Für Radermacher bedeutet Nachhaltigkeit in der Marktwirtschaft, „dass man soziale, ökologische und auch kulturelle Anliegen in das Marktgeschehen übernimmt über Regelwerke, Anreize, Bestrafungen etc,“ erklärt der Wirtschaftswissenschaftler die modernisierte Marktwirtschaft. In einem neu organisierten Markt darf die Wertschöpfung nicht durch die „Auslagerung“ oder durch das Überwälzen von Kosten möglich sein. „Preise sollten also die Wahrheit sagen,“ wirbt Radermacher auch für die Kostenwahrheit.
Die reichen Länder haben in diesem Sinne ihre Klimakosten meist ausgelagert und so ihren Wohlstand aufgebaut, analysiert Radermacher die Entwicklung. Die Nachteile, auch Unsummen an Kosten, der zunehmenden Erwärmung tragen hauptsächlich Menschen in den ärmeren Ländern.
Nicht die Planwirtschaft löst die vielen Probleme, Klimawandel, soziales und wirtschaftliches Ungleichgewicht und Migration, sondern ein anders organisierter Kapitalismus, führt Radermacher aus, „grün und inklusiv, also ökosozial“. Radermacher ist trotz aller Schwierigkeiten optimistisch, sagt, es ist ein Umdenken festzustellen. Eigenartigerweise gab die Finanzkrise 2008 den Anstoß. Die OECD, die Organisation der reichen Länder, die Weltbank und auch der internationale Währungsfonds werben für einen öko-sozialen Kapitalismus. Also für eine Balance der Einkommen, für wirtschaftliche Aufholprozesse im Süden, für eine Verringerung der Umweltverschmutzung, für eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums.
Radermacher bedauert, dass zwar viel diskutiert, aber wenig umgesetzt wird. Er begrüßt deshalb fast schon euphorisch die Entscheidung der Robert Bosch-GmbH, auf die Klimaneutralität zu setzen. Ein deutliches Signal und ein bedeutsamer Schritt eines großen produzierenden Industrieunternehmens, würdigt Radermacher die neue Unternehmenspolitik der Bosch-GmbH. Aber auch das weltweit größte Logistikunternehmen in der Containerverschiffung Kühne+Nagel setzt neue Akzente, zitiert Radermacher ein weiteres Beispiel.
Ermutigend ist es auch, dass es viele mittelständische Unternehmen gibt, die sich ebenso engagieren, beschreibt Radermacher die öko-soziale Tendenz in der Marktwirtschaft, wie die ZwickRoell GmbH in Ulm. In Allgäu fanden sich mittelständische Unternehmen im Klimaneutralitätsbündnis zusammen. Ähnliches gibt es in Vorarlberg.

Franz Josef Radermacher über "Welt mit Zukunft. Die ökosoziale Perspektive" - YouTube

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