Die Natur braucht Rechte - Teil 2

"Es geht immer um die Perspektive des Menschen"

Die deutschen Verfassungsrichter mahnten die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen an. Für die Umwelt-Juristin Jula Zenetti geht es jetzt darum, entsprechende Instrumentarien zu entwickeln.
Zenetti machte in der deutschen Rechtsordnung eine neue Entwicklung aus. Einerseits formuliert das deutsche Staatsziel den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, andererseits bekräftigten die deutschen Verfassungsrichter mit Klimabeschluss vom 24. März 2021 das erwähnte Staatsziel. Mit Verbandsklagen können stellvertretend für Natur und Umwelt Verwaltungsentscheiden gestoppt werden.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung stellt Jule Zenetti fest, dass weiterhin die Perspektive des Menschen im Mittelpunkt steht. Es wird immer die Frage gestellt, ob Grundrechte des Menschen verletzt werden. Denn nur dann können auch Recht der Natur geltend gemacht werden. Einzige Ausnahme derzeit sind Klagen gegen Bauvorhaben, bei deren Umsetzung es zu negativen Auswirkungen auf Natur und Umwelt kommt.
Bisher nahm keine politische Partei die Rechte der Natur in ihr Programm auf, nicht einmal die Grünen, kritisiert Zenetti. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie der Partei hatte noch den Vorschlag gemacht, die Eigenrechte der Natur in das Programm aufzunehmen. Die AG ist damit aber gescheitert.
In der Schweiz drängen fünf Nationalrätinnen und Nationalräten aus allen politischen Lagern auf eine Änderung der Schweizer Bundesverfassung. Danach soll die Schweizer Verfassung künftig nicht nur das Recht des Menschen auf eine gesunde Umwelt garantieren, die Natur soll auch die Stellung einer Rechtsperson erhalten.
Die Öffentlichkeit scheint diesem Thema zugewandter zu sein als Politik und Wirtschaft. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IPSOS in der Europäischen Union (EU) sprechen sich über 60 Prozent der EU-Bürger:innen für eine Anerkennung von Eigenrechten aus.
Eine erfolgreiche Politik zur Bekämpfung des Klimawandels sieht Zenetti auch in der Anerkennung eigener Rechte der Natur. In den USA machen erstmals mehrere Ökosysteme ihre Rechte geltend. Vertreten werden sie dabei von der lokalen Umweltrechtsorganisation „Speak up Wekiva“.
In Orange County in Florida reichten mehrere Gewässer Klage gegen ein Bauvorhaben ein. Nach lokalem Recht sind die einzelnen Gewässer Träger von Rechten. Bei einer Volksabstimmung sprach sich eine deutliche Mehrheit (89 %) für die Anerkennung von Rechten von Gewässern aus. Das vom County erlassene Gesetz haben die Gewässer das Recht zu existieren, zu fließen, vor Verschmutzung geschützt zu werden, in einem gesunden Ökosystem. (Section 704.1 A. (1) Orange County Code).
Bei der angelaufenen Gerichtsverhandlung gegen ein Bauvorhaben werden die Gewässer von Chuck 0`Neal von der Bewegung „Speak up Wekiva“ vertreten. Laut dem County-Gesetz können die Gewässer von jedem/jeder Bürger:in aus Orange County, außerdem vom Orange County selbst sowie von jeder Gemeinde und anderen öffentlichen Stellen des County vertreten werden. Die erwähnte Klage richtet sich gegen eine geplante Wohnsiedlung auf einer Fläche von mehr als 770 Hektar, berichtet die Zeitung The Guardian.
Auf lokaler Ebene sind in den USA schon seit einigen Jahren die Eigenrechte der Natur gesetzlich anerkannt. Jula Zenetti zitiert die Gemeinde Tamaqua Borough im US-Bundesstaat Pennsylvania. Dort wurden bereits 2006 erstmals weltweit eigene Rechte eines Ökosystems gesetzlich geregelt. Inzwischen zogen 29 lokale Gesetzgeber nach.
Die Eigenrechte behandelte 1972 ein US-Richters in dem Rechtsstreit Sierra Club vs. Morton. Das Gericht wies die Klage des Umweltschutzverbandes Sierra Club gegen ein Bauvorhaben im Mineral King Valley ab. Richter William Douglas sprach sich in der Berufung mit einem abweichenden Votum für Klagerechte des Mineral King Valley aus. Er berief sich auf den kurz zuvor erschienen Aufsatz von Prof. Christopher Stone zu Eigenrechten der Natur.
Doch erst 40 Jahre später wurde ein US-Gericht angerufen, um für die Durchsetzung von gesetzlichen Rechten der Natur zu sorgen.
Auch anderswo wehren sich Flüsse. In Kolumbien klagten Interessengruppen gegen die illegale Entsorgung von Quecksilber in den Río Atrato. Das kolumbianische Verfassungsgericht erkannte in einem Urteil von 2015 das Recht des Flusses auf „protection, conservation, maintenance and restauration“ an und ordnete die Erstellung und Umsetzung eines Sanierungsplans für den Río Atrato an. Gerichte in Indien, Ecuador und Bangladesh haben ebenfalls über Klagen von Ökosystemen entschieden.
Zenetti erhofft sich von der Klage in Orange County eine weitreichende Entwicklung des Eigenrechtskonzepts in den USA. Das Urteil des Ninth Circuit Court Florida wird bei einem positiven Ausgang Wegbereiter für weitere Klagen der Natur vor Gerichten sein. Mit entsprechender Ausstrahlung auch auf die europäische Rechtsordnung. In dieser fehlen derzeit Eigenrechte der Natur.
„Angesichts der alarmierenden ökologischen Situation, die sich unter dem herrschenden Rechtsregime entwickelt hat, ist es höchste Zeit, Alternativen für einen Systemwandel zu diskutieren und zu prüfen. Das verbreitete Rechtskonstrukt der juristischen Personen zeigt, dass das Rechtssystem in der Lage ist und der Gesetzgeber bereits willens war, nicht nur Menschen als Träger von Rechten anzuerkennen, sondern etwa auch Kapitalgesellschaften,“ wirft Zenetti ein: „Angesichts der enormen ökologischen Herausforderungen sollten wir eine solche Chance im Zweifel nutzen“.
In Bayern versucht in diesem Frühjahr Umwelt-Journalist und Gründer des World Uranium Hearings, Claus Biegert, eine Kampagne für Eigenrechte der Loisach zu starten. Loisach entspringt in Nord-Tirol und mündet in Ober-Bayern in die Isar. Ein Versuch vor der Haustür.