"Im Dienste des Gemeinwohls"

Prof. Alberto Lanzavecchia

Banken müssen ethisch werden

Ein Gespräch mit dem Padovaner Finanzwissenschaftler Alberto Lanzavecchia über eine nachhaltige Finanzwirtschaft

EB: Sie arbeiten mit Ethical Banking der Raika-Kassen zusammen. Beschreiben Sie bitte Ihre Rolle.

Alberto Lanzavecchia:
Als Wissenschaftler an der Universität von Padua forsche ich, belege Fakten und sorge mit den Lehrveranstaltungen für die Verbreitung von Wissen. Wir bilden neue WissenschaftlerInnen aus, die auf der Grundlage unserer Erkenntnisse weiterforschen können. Diese beiden Bereiche kommen der Universität zugute.

EB: Sie bieten nun der Raika Bozen ihre Forschung an?

Alberto Lanzavecchia: Ja, die Forschung soll auch außerhalb der Universität genutzt, sie allen Interessierten zugänglich gemacht werden. Mein Wissen und meine Erfahrungen auf dem Gebiet der ethischen Finanzen reiche ich weiter an die Raika, damit diese wiederum ihre Arbeit des Ethical Bankings verstärken kann, zugunsten des Gemeinwohls.

EB: Warum interessieren Sie sich als Wissenschaftler für die ethische Finanzwirtschaft?

Alberto Lanzavecchia: Ich beschäftige mich in meiner Forschung auch mit den Sozialwissenschaften, d.h. wie der Mensch durch seine wirtschaftliche Tätigkeit mit der Umwelt interagiert. Im kapitalistischen System steht der Kapitalmarkt nicht allen offen, das Kapital steht nicht allen BürgerInnen gleichermaßen zur Verfügung, Kredite können negative Auswirkungen auf Land und Leute haben. Beispielsweise erhält ein Unternehmen einen Bankkredit für Investitionen, um Rohstoffe im Regenwald abzubauen. Die Folge ist eine unkontrollierte Entwaldung. Meist werden solche Unternehmen bereitwillig und großzügig mit Krediten versorgt, schwerer haben es Unternehmen, die ihre Ressourcen aus erneuerbaren und nachhaltigen Quellen verwenden.

EB: Es sind also ethische Kriterien bei der Kreditvergabe notwendig?

Alberto Lanzavecchia: Ja, eine ethische Finanzierung ermöglicht alternative Entscheidungen. Das ethische Finanzwesen bewertet die Folgen von Kosten und Umsatz auf Mensch und Umwelt und schließt bei der Analyse auch die positiven wie negativen nichtwirtschaftlichen Folgen einer Kreditvergabe ein.

EB: Weil die ethische Finanzwirtschaft umfassender ist, alle Auswirkungen und Folgen mit einrechnet?

Alberto Lanzavecchia: Das ethische Finanzwesen hat einen ganzheitlichen Ansatz (Profit, Menschen und Erde), der alle wirtschaftlichen Perspektiven – auch die alternativen – erfasst. Dieser ganzheitliche Ansatz ermöglicht einen Überblick, wie man ihn auf der Spitze eines Berges genießen kann!

EB: Also ist ein ethisches Bankensystem dringend notwendig?

Alberto Lanzavecchia: Nun, die Bank ist der Zugang zum Kapitalmarkt, mit ihren Angeboten und Informationen kann sie sich aktiv an Entscheidungen beteiligen. Also, wohin fließen die Kredite, welche Unternehmen und Wirtschaftsbereiche – und welche nicht - erhalten frisches Geld. Der direkte Zugang zum Kapitalmarkt ist immer noch eingeschränkt, der Zugang über die Banken ist deshalb immer noch der wichtigste Kanal. Deshalb spielt die Bank eine Schlüsselrolle bei der ethischen Finanzierung.

EB: Wie müsste die Bank-Wirtschaft umgebaut werden, um ethische Investitionen zu erleichtern?

Alberto Lanzavecchia: Sie muss Investitionen und Kredite an öko-soziale Auflagen koppeln. Unternehmen, die Umwelt und Menschen belasten, Unternehmen, die gekonnt Steuern umgehen, also nicht zahlen, sollen künftig nicht mehr Bank-Kredite erhalten. Dieses freiwerdende Geld könnten dann Unternehmen mit nachhaltiger Tätigkeit erhalten.

EB: Wie schnell ist das umsetzbar, wann soll das geschehen?

Alberto Lanzavecchia: Wenn es in den kommenden Jahren jemals zu einem ökologischen Übergang kommt - wenn der Zeithorizont länger ist, wird es für alle zu spät sein - dann muss er zuerst im Bankensystem erfolgen. Es entscheiden letztendlich die Banken, wer Kredite erhält.

EB: Banken verkaufen bereits green bonds, setzen auf nachhaltige Investitionen. Verändert sich die Bankenwelt?

Alberto Lanzavecchia: Das sind zweifellos gute Nachrichten. Mit dem Verkauf von green bonds drängen die Banken auf eine Bewusstseinsveränderung der Anleger. Ihnen muss bewusst werden, dass die Kapitalrendite mit den positiven Auswirkungen der Wirtschaftstätigkeit zusammenhängt. Zum Beispiel erneuerbare Energie.

EB: Ein richtiger Schritt in die richtige Richtung …

Alberto Lanzavecchia: Ich hoffe, dass kleine und große Kapitalgeber, kleine und große Banken, ihren Euro nur mehr in jene wirtschaftlichen Aktivitäten investieren, die Arbeitnehmern und Bewohnern überall auf der Welt nicht ihre Würde nehmen, Menschen zu sein. Eine wirtschaftliche Tätigkeit, die den Jugendlichen von heute die Gletscher, die Wälder, die Tierwelt in der Savanne, die Fische im Meer erhält und das Spazieren im Herbst im Nebel durch Venedig weiterhin ermöglicht.

EB: In Südtirol unterstützen 25 Raika-Kassen das Ethical Banking. Die Raiffeisen-Landesbank zeigt Interesse an der ethischen Anlage. Einiges ist in Bewegung. Gilt dies auch für den restlichen italienischen Markt?

Alberto Lanzavecchia: Auf gesamtstaatlicher Ebene sind die ethischen Banken völlig marginal, um nicht zu sagen unbedeutend. Unverständlich, weil die soziale und nachhaltige Wirtschaft wächst. Offensichtlich erhält die nachhaltige Wirtschaft, sozusagen der "gute" Teil der Wirtschaft, das benötigte Kapital von traditionellen Banken. Für diese Banken ist es wichtig, Gewinne zu erzielen, sei es durch umweltschädliche Industrien oder durch öko-soziale Betriebe. Hauptsache sie zahlen!

EB: Die EU will laut Kommissionspräsidentin von der Leyen über ihren New Green Deal die Wirtschaft grundlegend reformieren. Wieviel ist vom Green Deal nur Slogan?

Alberto Lanzavecchia: Zwei Ideen stecken hinter dem Green Deal. Die CO2-Emissionen sollen auf Null gedrückt und das Wirtschaftswachstum von verursachten Schäden für Menschen und Umwelt „entkoppelt“ werden. Ein außergewöhnliches und ehrgeiziges Ziel, das die Lebensqualität jenen garantieren würde, die heute deutlich jünger sind als ich.

EB: Sie scheinen daran aber nicht zu glauben?

Alberto Lanzavecchia: Ja, weil es eine Täuschung ist. Die EU trägt 8 % zur weltweiten CO2-Emission bei. Der Klimawandel und seine Auswirkungen sind aber global und deshalb sind die Ziele der europäischen Länder allein unbedeutend. Deshalb ist das COP21-Abkommen (das Welt-Klima-Abkommen von 2015) in Paris die einzig mögliche Option.

EB: Was besagt dieses Abkommen?

Alberto Lanzavecchia: Unter anderem wurde beschlossen, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Nettotreibhausgasemissionen zwischen 2045 und 2060 auf null zurückgefahren werden. Es muss also ein sehr ambitionierter Klimaschutz betrieben werden. Das Abkommen sieht die Speicherung von C02 vor und eine erhöhte CO2-Aufnahme durch eine veränderte Bewirtschaftung des Landes, z.B. großflächige Aufforstung.

EB: Kann nun Wachstum und Umweltverschmutzung entkoppelt werden, eines der EU-Ziele?

Alberto Lanzavecchia: Die Entkopplung des Wachstums von negativen Auswirkungen ist ein unerreichbarer Mythos in einer globalisierten Freihandelswirtschaft. So schreibt das Europäische Umweltbüro 2019 "Entlarvung - Beweise und Argumente gegen grünes Wachstum als einzige Nachhaltigkeitsstrategie".

EB: Das heißt?

Alberto Lanzavecchia: Der einzig mögliche alternative Weg besteht darin, sich von all jenen wirtschaftlichen Tätigkeiten zu befreien, die nicht erneuerbare Ressourcen verbrauchen oder das natürliche Gleichgewicht in der Biosphäre verändern, angefangen beim unnötigen Verbrauch. Das funktioniert auch mit einer positiven Sparpolitik, wie es der grüne Südtiroler Europaparlamentarier Alexander Langer 1992 wünschte...

EB: Es gibt nicht nur den Green Deal der EU-Kommission zum Umbau der Wirtschaft. Mit dem Recovery Fund der Kommission für den Wiederaufbau nach der Pandemie sollen Ökologie und Ökonomie versöhnt werden. Ministerpräsident Draghi will damit das Gemeinwohl in den Mittelpunkt seiner Regierungsarbeit stellen. Hehres Ziel oder nur ein weiterer politischer Slogan?

Alberto Lanzavecchia: Wir sind, Draghi als Ministerpräsident, ich als Finanzwissenschaftler, im Dienste der Bürgerschaft, also des Gemeinwohls. Ich stelle es in den Mittelpunkt meines Lebensstils, meiner Gedanken, meines Unterrichts für die StudentInnen, meiner Interaktion mit der Gesellschaft, deshalb auch die Zusammenarbeit mit Raika BZ.

EB: OK und Ministerpräsident Draghi?

Alberto Lanzavecchia: An dem Tag, an dem Mario Draghi wirtschaftliche Ziele nicht mehr mit dem Oberbegriff "BIP-Wachstum" definiert, sondern als "Entwicklung der zivilen Wirtschaft", wird er das Gemeinwohl in den Mittelpunkt seines Handelns stellen.

EB:
Herzlichen Dank für das Gespräch!


World Climate Summit 2015 - COP21
Übereinkommen von Paris | Klimaschutz (europa.eu)
UN-Klimakonferenz in Paris 2015 – Wikipedia

Lesetip: „Good Bank – das Modell der GLS Bank“ von Caspar Dohmen (orange press)
Good Bank | Caspar Dohmen (caspar-dohmen.de)

Alberto Lanzavecchia | Università degli Studi di Padova - Academia.edu

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